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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 15.04.2003
Aktenzeichen: 2 Ws 114/03
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 114 Abs. 2
StPO § 114a
StPO § 115 Abs. 2
StPO § 268b
1. Der durch § 115 Abs. 2 StPO auch bei Erweiterung des Haftbefehls auf zusätzliche Taten vorgeschriebenen Sonderform des Gehörs durch richterliche Vernehmung des Angeklagten ist grundsätzlich genügt, wenn der Erweiterungsbeschluss in der besonderen Haftprüfung nach § 268 b StPO bei Urteilsfällung ergeht.

2. Enthält der in der besonderen Haftprüfung nach § 268 b StPO verkündete Beschluss über die Erweiterung des Haftbefehls auf weitere -zugleich abgeurteilte- Taten keine hinreichende Tatbeschreibung, kann nach eingelegter Beschwerde die gemäß § 114 Abs. 2 Nr. 2 StPO gebotene Tatbeschreibung im Nichtabhilfebeschluss nachgeholt werden, ohne dass auch dieser in der Form der Verkündung bekannt gemacht werden müsste.


Hanseatisches Oberlandesgericht 2. Strafsenat Beschluss

2 Ws 114/03 4002 Js 1504/02

In der Strafsache

hier betreffend Haftbeschwerde

hat der 2. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 15. April 2003 durch

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 27, vom 24. März 2003 - betreffend den Haftbefehl des Amtsgerichts Hamburg vom 1. November 2002 (Az.: 160 Gs 2069/02) in der Fassung des Beschlusses des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 6, vom 26. November 2002 - wird verworfen.

Gründe:

I.

Der am 6. November 2002 festgenommene Angeklagte, der bereits am 3. November 1999 rechtskräftig wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 26 Fällen, davon in vier Fällen als Versuch, zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten (Amtsgericht Hamburg-Harburg, Az.: 618 - 303/99) verurteilt und am 22. Oktober 2001 aus der Strafhaft entlassen worden war, sitzt aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Hamburg vom 1. November 2002 in Untersuchungshaft ein. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, an einem nicht genau feststehenden Tag im September/Anfang Oktober 2002 einen schweren sexuellen Missbrauch von Kindern (§§ 176 Abs. 1, 176 a Abs. 1 Nr. 4 StGB) an dem elfjährigen Geschädigten J. dessen Alter er kannte, begangen zu haben. Gestützt ist der Haftbefehl auf die Haftgründe der Verdunkelungs- und - nachrangig - Wiederholungsgefahr. Mit Beschluss vom 26. November 2002 hat das Landgericht Hamburg, Große Strafkammer 6, im Beschwerdeverfahren den Haftbefehl um den Haftgrund der Fluchtgefahr erweitert. Mit Anklageschrift vom 14. Dezember 2002 hat die Staatsanwaltschaft Hamburg wegen der bereits im Haftbefehl enthaltener Tat und ferner u.a. wegen vier weiterer Fälle des schweren Missbrauchs von Kindern (§§ 176 Abs. 1, 176 a Abs. 1 Nr. 4, 53 StGB), davon in einem Fall unter Verwirklichung von § 176 a Abs. 1 Nr. 1 StGB, zum Nachteil K.Anklage zum Landgericht Hamburg erhoben; den zugleich gestellten Antrag auf Änderung des Haftbefehls vom 1. November 2002 nach Maßgabe der Anklageschrift hat das Landgericht trotz der unveränderten Zulassung der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens unbeschieden gelassen.

Das Landgericht Hamburg, Große Strafkammer 27, hat den Angeklagten am 24. März 2003 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen hat der Angeklagte am 31. März 2003 Revision eingelegt. In der besonderen Haftprüfung nach § 268 b StPO hat das Landgericht am 24. März 2003 zugleich beschlossen, dass der Haftbefehl des Amtsgerichts Hamburg vom 1. November 2002 mit der Maßgabe aufrechterhalten bleibt, "dass der Angeklagte ... durch das heutige Urteil ... wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen gemäß §§ 176, 176 a Abs. 1 Nr. 4 und 1 StGB zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden ist und auch im Hinblick auf die Verurteilung durch das Amtsgericht Hamburg-Harburg vom 3.11.1999 ... der Haftgrund der Wiederholungsgefahr gemäß § 112 a Abs. 1 Nr. 1 StPO besteht; der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr entfällt ...". Die schriftlichen Urteilsgründe liegen noch nicht vor.

Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 1. April 2003 "gegen den Haftbefehl des Landgerichts in der Fassung vom 24.03.2003" hat das Landgericht eine schriftliche Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. B. Zentrum für Institut für des Universitätsklinikums , vom 2. April 2003 eingeholt und mit Beschluss vom 4. April 2003 unter näherer Beschreibung der Taten, derer der Angeklagte dringend verdächtig sei, der Beschwerde nicht abgeholfen. Der Senat hat diese Nichtabhilfeentscheidung dem Verteidiger bekannt gemacht.

II.

Die "Beschwerde gegen den Haftbefehl des Landgerichts in der Fassung vom 24.03.2003" ist als Beschwerde gegen den Haftfortdauerbeschluss, der zusammen mit dem Nichtabhilfebeschluss letzten den Bestand des Haftbefehls betreffenden Haftentscheidung (vgl. HansOLG Hamburg, StV 1994, 323, 324; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 117 Rdn. 8 m.w.N.) zulässig (§ 304 Abs. 1 StPO), aber unbegründet. Zu Recht hat das Landgericht den Haftbefehl aufrechterhalten und den Vollzug der Haft nicht ausgesetzt.

1. Der angefochtene, den Haftbefehl erweiternde Beschluss genügt den formellen Begründungsanforderungen (§ 114 StPO) und ist ohne Verstoß gegen die in Haftsachen bestehenden besonderen Anhörungs- und Bekanntmachungsvorschriften (§§ 114 a, 115 StPO) ergangen.

a) Ein Beschluss, mit dem ein bestehender Haftbefehl um zusätzliche Taten erweitert wird, ist insoweit wie ein neuer Haftbefehl zu behandeln (vgl. Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 114 Rdn. 48). Er ist insbesondere nach § 114 StPO zu begründen und gemäß §§ 114 a, 115 StPO zu verkünden (vgl. BVerfG NStZ 2002, 157, 158; OLG Hamm StV 1998, 555, 556; Hilger, a.a.O.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf ein nicht ordnungsgemäß verkündeter Erweiterungsbeschluss im Umfang der Erweiterung für die Haftfortdauerentscheidung nicht berücksichtigt werden (BVerfG, a.a.O., zu §§ 121 f StPO; ebenso OLG Hamm, a.a.O.).

b) Den Begründungsanforderungen genügt der angefochtene Beschluss jedenfalls in der Gestalt, die er durch den Nichtabhilfebeschluss gefunden hat.

aa) Der Haftbefehl muss schriftlich erlassen werden (§ 114 Abs. 1 StPO). Ergeht der Haftbefehl in der Hauptverhandlung, so ist dieser Anforderung genügt, wenn er vollständig protokolliert und verkündet wird (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 114 Rdn. 2; weitergehend OLG Celle StV 1998, 385). Vorliegend ist die vollständige Aufnahme in die Sitzungsniederschrift in der Weise erfolgt, dass der Beschlusstext als Anlage zum Protokoll genommen worden ist; auch ist der Beschluss verkündet worden. Der - durch alle drei mitwirkenden Richter unterzeichnete - Nichtabhilfebeschluss ist in Schriftform ergangen.

bb) Gemäß § 114 Abs. 2 Nr. 2 StPO sind die Tat, deren der Angeklagte dringend verdächtig ist, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften in dem Haftbefehl anzuführen.

Diesem Erfordernis genügte der Beschluss vom 24. März 2003 in seiner ursprünglichen Form nicht, soweit die - im Haftbefehl vom 1. November 2002 nicht enthaltenen - Taten zum Nachteil K. betroffen sind. Die Tatbeschreibung im Haftbefehl muss aus sich heraus verständlich sein; der Lebensvorgang muss derart umrissen sein, dass dem Betroffenen ebenso wie dem Rechtsmittelgericht der erhobene Tatvorwurf erkennbar ist (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 114 Rdn. 7 m.w.N.). Zugleich dient das Begründungserfordernis der Selbstkontrolle des entscheidenden Richters (vgl. Boujong in KK-StPO, 4. Aufl., § 114 Rdn. 4 m.w.N.). Eine Bezugnahme auf ein gleichzeitig erlassenes Urteil reicht grundsätzlich nicht aus (vgl. OLG Karlsruhe in wistra 1991, 277; Hilger, a.a.O., § 114 Rdn. 9; Meyer-Goßner, a.a.O., Rdn. 8 m.w.N.). Vorliegend erschöpfte sich die Tatbeschreibung in der Wiedergabe der gesetzlichen Merkmale der Straftat und der angewendeten Strafvorschriften aus dem "heutige(n) Urteil".

Das Landgericht hat die fehlende Beschreibung der weiteren vier Taten in dem Nichtabhilfebeschluss vom 4. April 2003 in einer dem § 114 Abs. 2 Nr. 2 StPO genügenden Weise nachgeholt. Der Beschluss vom 24. März 2003 und der Nichtabhilfebeschluss bilden verfahrensrechtlich eine Einheit (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 306 Rdn. 8; Plöd in KMR, StPO, § 306 Rdn. 9; Gollwitzer in JR 1974, 205, 206).

cc) Damit ist eine den formellen Begründungsanforderungen entsprechende Erweiterung des Haftbefehls auf die vier Taten zum Nachteil K. in der besonderen Haftprüfung nach § 268 b StPO erfolgt, sodass die Begründung nicht durch das Beschwerdegericht nachzuholen ist (hierzu vgl. Senat in MDR 1992, 693; Hilger, a.a.O., § 114 Rdn. 21 m.w.N.).

c) Der Berücksichtigung der weiteren vier Taten steht nicht entgegen, dass nur der Beschluss vom 24. März 2003, nicht jedoch der dessen Verstoß gegen § 114 Abs. 2 Nr. 2 StPO beseitigende Nichtabhilfebeschluss vom 4. April 2003 dem Angeklagten verkündet worden ist.

aa) Gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 StPO werden Entscheidungen, die in Anwesenheit der davon betroffenen Person ergehen, ihr durch Verkündung bekannt gemacht; andere Entscheidungen, durch deren Bekanntmachung keine Frist in Lauf zu setzen ist, können formlos mitgeteilt werden (§ 35 Abs. 2 StPO). Nach der Sondervorschrift des § 114 a Abs. 1 StPO ist der Haftbefehl bei der Verhaftung bekannt zu geben; gemäß § 115 Abs. 2 StPO ist der Betroffene richterlich zu vernehmen. Zweck dieser Vorschriften ist, dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben, sich zu den für die Haftanordnung maßgeblichen Umständen, insbesondere zu den (hier: zusätzlichen) Tatvorwürfen, gegenüber dem zuständigen Richter mündlich zu äußern (vgl. BVerfG, a.a.O.; Hilger, a.a.O., § 115 Rdn. 1, 17). Damit stellen sich die Vorschriften über die Vernehmung des Beschuldigten bzw. Angeklagten und über die Verkündung des Haftbefehls als eine die allgemeinen Vorschriften der Art. 103 Abs. 1 GG, § 33 Abs. 3 StPO mit Hinblick auf die Bedeutung des Freiheitsgrundrechtes nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 3 GG modifizierende besondere Form des rechtlichen Gehörs dar (vgl. BVerfG NStZ 1994, 551, 552). Eröffnung des Haftbefehls und mündliche Haftprüfung stehen in ihrer Bedeutung für das Gehör gleich (vgl. BVerfG, a.a.O.; siehe auch Hilger, a.a.O., Rdn. 3: Vernehmung gemäß § 115 Abs. 2 StPO ist der Sache nach eine Haftprüfung).

Die Erweiterung des Haftbefehls ist hier in der besonderen - mündlichen - Haftprüfung nach § 268 b StPO, wonach bei der Urteilsfällung zugleich von Amts wegen über die Fortdauer der Untersuchungshaft zu entscheiden ist, erfolgt. Gegenstand der Hauptverhandlung und der Urteilsfällung waren u.a. diejenigen Taten, um die der Haftbefehl in der Haftprüfungsentscheidung erweitert wurde. Damit hat der Angeklagte in der Hauptverhandlung Gelegenheit gehabt, sich mündlich zu den - weiteren - Tatvorwürfen gegenüber dem entscheidenden Gericht zu äußern. Die Einwirkungsmöglichkeiten des Angeklagten auf die nachfolgende Haftentscheidung sind in dieser Haftprüfung jedenfalls nicht geringer als bei einer richterlichen Vernehmung nach § 115 Abs. 2 StPO. Hier wie in der Hauptverhandlung werden die Belastungsmomente erörtert und hat der Angeklagte Gelegenheit, sich zu verteidigen. Dem Zweck der besonderen Form rechtlichen Gehörs in Haftsachen ist somit genügt. Das gilt in casu umso mehr, als der dem Angeklagten aus der Anklageschrift bekannte Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erweiterung des Haftbefehls bisher unbeschieden geblieben war.

bb) Nichts anderes gilt für die Form der Bekanntgabe der Haftbefehlserweiterung.

Zwar ist nur der Beschluss vom 24. März 2003, nicht aber der die konkrete Tatbeschreibung nachholende Beschluss vom 4. April 2003 verkündet worden. Die Tatbeschreibung war jedoch in der mündlichen Urteilsbegründung enthalten, die dem Haftprüfungsbeschluss unmittelbar voraufgegangen war; der verkündete Beschluss nahm auf das Urteil Bezug. Damit ist dem Verkündungszweck in der besonderen Haftprüfung nach § 268 b StPO gleichfalls genügt.

2. Der Angeklagte ist des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (§§ 176 Abs. 1, 176 a Abs. 1 Nr. 4 StGB) in fünf Fällen, davon in einem Fall gemäß §§ 176 Abs. 1, 176 a Abs. 1 Nr. 1 StGB, dringend verdächtig (§ 112 Abs. 1 S. 1 StPO).

Nachdem er deshalb - nicht rechtskräftig - am 24. März 2003 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden ist, hängt die hohe Wahrscheinlichkeit einer Rechtskraft des Schuldspruchs nur noch vom Erfolg der vom Angeklagten eingelegten Revision ab. Die Erfolgsaussichten einer Revision zu prüfen ist grundsätzlich nicht Aufgabe des Haftbeschwerdegerichts. Ob eine Ausnahme bei Offensichtlichkeit der Erfolgsaussicht anzuerkennen ist, kann dahinstehen, weil diese Aussicht nicht prüfbar ist, denn Urteilsgründe und Revisionsbegründung befinden sich noch nicht bei den Akten.

Durch Verweisung auf das umfassende und glaubhafte Geständnis des Angeklagten in der Hauptverhandlung, das sich im Übrigen bezüglich der Tat zum Nachteil des S. J. mit den geständigen Angaben des Angeklagten gegenüber dem Haftrichter am 7. November 2002 deckt sowie darüber hinaus bezüglich aller übrigen Tatvorwürfe mit der Aktenlage übereinstimmt und im Übrigen auch von dem Beschwerdevorbringen nicht in Zweifel gezogen wird, hat das Landgericht verdeutlicht, das Ergebnis der Beweisaufnahme aus der Hauptverhandlung in seine Entscheidung aufgenommen zu haben.

3. Es besteht der Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112 a Abs. 1 StPO), der hier nicht gemäß § 112 a Abs. 2 StPO zurücktritt.

a) Zu Recht hat das Landgericht die bisher der Untersuchungshaft zugrunde gelegte Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO) verneint. Angesichts des bisherigen Verfahrensablaufs ist es nicht mehr hochwahrscheinlich, dass der Angeklagte noch in unlauterer Weise auf Beweismittel einwirken wird.

b) Soweit das Landgericht in dem Haftfortdauerbeschluss keine Erörterungen zu der durch Hafterweiterungsbeschluss vom 26. November 2002 angenommenen Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) anstellt, mag es dahinstehen, ob ein starker Fluchtanreiz angesichts der durch das (nicht rechtskräftige) Urteil vom 24. März 2003 vorläufig auf zwei Jahre und neun Monate konkretisierten, nach Anrechnung der seit 6. November 2002 erlittenen Untersuchungshaft (§ 51 Abs. 1 StGB) noch in Höhe von bis zu zwei Jahren und vier Monaten zu vollstreckenden Freiheitsstrafe ausgeht und hinreichende soziale Bindungen bestehen; denn dem Vollzug des Haftbefehls wegen Fluchtgefahr könnte durch Erteilung von entsprechenden Verschonungsanweisungen (§ 116 Abs. 1 StPO) als weniger einschneidende Maßnahmen sicherlich begegnet werden.

c) Der hier nicht nachrangige Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112 a Abs. 1 Nr. 1 StPO) liegt unvermindert vor.

aa) Der dringende Verdacht einer Anlasstat im Sinne des § 112 a Abs. 1 Nr. 1 StPO, nämlich ein schwerer sexueller Missbrauch eines Kindes (§§ 176 Abs. 1, 176 a Abs. 1 Nr. 4 StGB in vier Fällen, §§ 176 Abs. 1, 176 a Abs. 1 Nr. 1, Nr. 4 StGB in einem Fall) ergibt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der - nicht rechtskräftigen - Verurteilung am 24. März 2003.

Von Gesetzes wegen reicht ein solcher Tatverdacht jedoch nicht aus, die Sicherungshaft anzuordnen. Hinzu treten muss vielmehr die durch bestimmte Tatsachen begründete Gefahr, der Angeklagte werde vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen. Die Verwirklichung des Straftatbestandes eines Anlassdeliktes wie sexuellem Missbrauch von Kindern gibt einen Hinweis auf schwere Persönlichkeitsmängel, die weitere ähnliche Taten befürchten lassen können (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 112 a Rdn. 6), reicht aber ohne Hinzutreten weiterer bestimmter Tatsachen nicht zur Haftanordnung aus (siehe auch BVerfGE 35, 185, 190 ff.). Solche bestimmten Tatsachen, die die hohe Wahrscheinlichkeit neuer einschlägiger Tatbegehung begründen, können sich vor allem aus früheren Straftaten, Persönlichkeitsstruktur, sozialem Umfeld und - bei Sexualstraftätern - Triebanomalien ergeben (vgl. Boujong, a.a.O., § 112 a Rdn. 18).

bb) Derartige Tatsachen liegen mit hoher Wahrscheinlichkeit vor.

Die Begehung einschlägiger Taten durch den Angeklagten stellt sich nicht als episodisch, sondern als Ausdruck eines verfestigten Hanges dar:

Der Angeklagte ist bereits am 3. November 1999 vom Amtsgericht Hamburg-Harburg (Az.: 618 - 303/99) rechtskräftig wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 26 Fällen, davon in vier Fällen als Versuch, verurteilt worden. Das Amtsgericht hatte beim Angeklagten ausgeprägte päderastische Neigungen festgestellt, die bei Tatbegehung möglicherweise sogar erheblich die Steuerungsfähigkeit beeinträchtigten. Der in jenem Verfahren vernommene psychiatrische Sachverständige bescheinigte dem Angeklagten ein weitreichendes kennerschaftliches Einfühlungsvermögen in die Psyche von Jungen im Präferenzalter und dessen instrumentellen Einsatz zur Rekrutierung gemäß seinem abnorm orientierten Geschlechtssinn. Auch der in dem jenem Strafverfahren sich anschließenden Vollstreckungsverfahren beauftragte Gutachter stellte beim Angeklagten eine stabile perverse Symptombildung sowie Züge einer narzistischen Persönlichkeitsstörung fest, meinte aber zugleich angesichts der Therapie und des den Angeklagten in Freiheit erwartenden sozialen Umfeldes von nur einem geringen Rückfallrisiko ausgehen zu können.

Trotz seiner intellektuellen Fähigkeiten und der im Strafvollzug zuvor vollzogenen Therapie hat der Angeklagte anschließend sein Sexualverhalten nicht rational gesteuert und entsprechend seinen Erkenntnissen gelebt. Die Rückfallgeschwindigkeit war hoch. Es dauerte nur ein knappes Jahr, bis der Angeklagte in seine verfestigten triebhaft gesteuerten Verhaltensmuster zurückfand und "Jungen im Präferenzalter" um sich herum sammelte, um sodann erneut Serientaten zu verwirklichen.

Dieses wiederholte und intensive Verhalten verdeutlicht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Angeklagte auch zukünftig seinem abnorm orientierten Geschlechtstrieb nachgeben und neuerlich einschlägige Straftaten begehen wird.

cc) Bei dieser Sachlage ist die Haft als vorbeugende Maßnahme zum Schutz der Allgemeinheit, hier zum Schutz der ungestörten sexuellen Entwicklung von Kindern, vor weiteren erheblichen einschlägigen Straftaten des Beschuldigten auch erforderlich. Es sind keine milderen Mittel erkennbar, durch deren Anordnung der Haftzweck auf andere Weise als durch die weitere Inhaftierung erreicht werden könnte; insbesondere kommt nicht in Betracht, dass der Angeklagte sich in ärztliche Behandlung oder eine geschlossene Anstaltstherapie begibt, da ein medizinischer Erfolg hierdurch nicht alsbald gesichert ist.

Soweit der Angeklagte in seinem Beschwerdevorbringen darauf abstellt, dass durch eine medikamentöse Behandlung mit dem Medikament Trenatone die Gefahr einer wiederholten Tatbegehung ausgeschlossen sei, geht diese Einschätzung fehl.

In der Stellungnahme von Prof. Dr. B. vom 2. April 2003 wird dargelegt, dass mit einer medikamentösen Behandlung der sexuellen Präferenzstörung das Risiko der Wiederholung von sexuellen Übergriffen "weitgehend" reduziert werden könne, wobei mit dem Mittel Androcur - verbunden mit einer Therapie unter psychotherapeutischer Führung mit etwa wöchentlicher bis vierzehntägiger Frequenz - erst nach fünfmonatiger Behandlung ein derartiges Ergebnis zu erzielen sei. Für eine Behandlung mit Trenatone wird keine günstigere Prognose gestellt.

Aus diesen Ausführungen wird bereits deutlich, dass die Wirkprognose einer beginnenden medikamentösen und therapeutischen Behandlung zeitlich nicht klar umgrenzt werden kann, andererseits aber feststeht, dass eine alsbaldige Wirkung ab Aufnahme der Therapie jedenfalls nicht derart gewährleistet ist, dass in absehbarer Zeit die mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehende Wiederholungsgefahr eingedämmt werden könnte. Diese tatsächliche Ungewissheit eines einsetzenden Therapieerfolges wird auch noch dadurch bestärkt, dass der Angeklagte bereits während seiner letzten Strafverbüßung an einer Therapie teilgenommen hatte, deren Erfolg eher kurzfristiger Natur - wie die neuen Tatbegehungen vorliegend zeigen - war.

Die gutachterliche Stellungnahme ist zuverlässig. Der Sachverständige ist fachlich kompetent und forensisch erfahren. Die Ausführungen sind folgerichtig und stehen in keinem ersichtlichen Widerspruch zu wissenschaftlichen Erkenntnissen.

4. Weniger einschneidende Maßnahmen als der Vollzug des Haftbefehls (§ 116 Abs. 3 StPO) sind aus den genannten Gründen nicht geeignet, den Zweck der Sicherungshaft sicherzustellen.

5. Die Anordnung der Haft steht nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache - schwerer sexueller Missbrauch von Kindern in fünf Fällen durch Wiederholungstäter - und der deshalb zu erwartenden - hier vorläufig auf zwei Jahre und neun Monate konkretisierten Strafe - (§ 120 Abs. 1 StPO).

6. Eine Unterbrechung des Haftvollzugs in entsprechender Anwendung von § 455 Abs. 4 StPO ist nicht durch den behaupteten Gesundheitszustand des Angeklagten veranlasst. Das Krankheitsbild des Angeklagten, der unter Pilzflechte leidet, begründet auch nicht angesichts einer behaupteten fortschreitenden Ausbreitung eine die Haft ausschließende Vollzugsuntauglichkeit. Die notwendige medizinische Versorgung ist während des Vollzugs gewährleistet und kann gegebenenfalls - ohne Unterbrechung des Vollzugs - durch einen externen Facharzt erbracht werden.

Ende der Entscheidung

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